An die Behörde für Kultur, Sport und Medien der freien und Hansestadt Hamburg


Hamburg, 3. September 2010

Die Hamburger Labelförderung

Wir, die Betreiber des Hamburger Independentlabels all rock'n'roll speeds up records (ARNRSU), haben entschieden, uns nicht um die Hamburger Labelförderung zu bewerben. Da wir aus eigener (wenn auch etwas anders gearteter) Sorge um die Musiklandschaft der Kulturbehörde und anderweitig Interessierten jederzeit gerne für unentgeltliche Kritik zur Verfügung stehen, liefern wir in diesem offenen Brief eine Begründung für unsere Vorbehalte.

Nicht alle dieser Vorbehalte sind ideeller Art, unsere finanziellen Möglichkeiten wollen wir nicht verschweigen. Mindestens 3000 € für Promotion, dazu Produktionskosten + Presskosten + Vertrieb (siehe Konzept) kann ein Label wie das unsere gar nicht stemmen. Aber da liegt vielleicht schon das Problem, das sich aus den unterschiedlichen Erwartungshorizonten der Förderer und uns ergibt.

Vorweg: Wir gehen nicht nach Berlin. Wir glauben auch nicht, dass die Annahme haltbar ist, Musiklabels in unserer Größenordnung könnten von anderen Städten mal eben so abgeworben werden. Insbesondere ist es fragwürdig, wenn davon ausgegangen wird, dass sie damit auf unmittelbare wirtschaftspolitische Anreizstrukturen reagieren würden. Kultur und Subkultur werden sich in Städten immer und auch ohne das Zutun von Stadtentwicklungspolitik bilden. Größtenteils durch „nebenberufliches” bzw. „nebenjobliches” Engagement überlebende Labels wie wir, sind aufgrund der Haupteinkommensquellen und privater Verankerungen ohnehin weniger flexibel in der Standortwahl. Wenn Standortentscheidungen getroffen werden, dann liegt das eher an einem generell kulturfreundlichen Gesamtklima (erschwingliche Mieten, vielseitige Clublandschaft, Wertschätzung usw.), denn an kurzfristigen Geldanreizen.

Einem zentralen Punkt aus den Förderrichtlinien können und wollen wir nicht gerecht werden: der Erwartung, neue (Erwerbs-)Arbeitsplätze zu schaffen. Kunst nach unserem qualitativen Anspruch steht Wirtschaftlichkeit nicht immer, aber häufig, als Konzept unversöhnlich gegenüber. Sie lässt sich sehr selten einfach in eine Art von Mehrwertkette zwingen. Umso wichtiger ist eine funktionierende Kulturförderung durch die Gemeinschaft (stellvertretend: die Behörden). Umso heikler ist es aber auch, Kunst über Erwerbsarbeitsplätze fördern zu wollen. Wir sind ein Label, das unprofitabel arbeitet, weil es uns um Kunst und Künstler als solche geht. Damit übernehmen wir - und zahlreiche andere - momentan einen zu großen Teil von dem, was Aufgabe einer funktionierenden öffentlichen Kulturpolitik wäre, nämlich abseits von ökonomischen Zwängen Raum und Möglichkeiten zu schaffen für interessante künstlerische Experimente, irrationale und deswegen aufregende Unternehmungen, welche den kulturellen Diskurs in einer dafür (noch) bekannten Weltstadt wie Hamburg am Laufen halten. Dass wir das nicht dauerhaft ohne eine Verbesserung des Gesamtklimas leisten können, liegt auf der Hand - dass dies nicht in erster Linie darauf abzielen kann, unmittelbar Arbeitsplätze zu schaffen oder zu sichern ebenso. Diese Arbeit ist vielmehr wichtiger Bestandteil davon, warum Menschen in einer Stadt wie Hamburg leben wollen: Weltoffenheit, intellektuelle Herausforderung, Abwechslung, Dynamik und ein Geist der Gestaltung. All das können wir bieten, zu all dem tragen wir bei. DAFÜR wären langfristige Formen der Unterstützung ebenfalls angebracht - wenn man es ernst meint mit der „Attraktivität des Musikstandorts”.

Die „massiven Einbrüche der Tonträgerindustrie” und Bedrohung „weiterer Teilmärkte der Kreativwirtschaft” können wir nicht auffangen. Möchten wir auch nicht. Wandel - auch struktureller - kann der Kulturlandschaft (der wir uns eher zugehörig fühlen als der „Kreativwirtschaft”) gut tun und solange Einbrüche im Verkauf von Speichermedien nicht auch gleichzeitig Einbrüche in musikalischer Produktion überhaupt bedeuten, können wir uns dem kollektiven Aufschrei der Musikverwerter nicht anschließen. Die Veränderungen im Musikmarkt und im gesellschaftlichen Musikkonsum sind nicht mehr zu verhindern und sollten stattdessen als (vielleicht willkommene) Marktverschiebungen wahrgenommen werden - hin zu leichterer Produktion von und leichterem Zugang zu Kulturgütern. Diese Veränderungen zwingen jedoch eine Reihe von Akteuren zu einem Umdenken. Umdenken müssen Musikverwerter, Musikkonsumenten und gewählte Entscheidungsträger gleichermaßen. Schlecht wäre es zum Beispiel, wenn qualitativ hochwertige künstlerische Äußerungen im Zuge ihrer leichteren Verfügbarkeit in der öffentlichen Auffassung an Wert verlieren. Aber: Musik geht nicht wegen des Internets kaputt. Sie verliert auch nicht durch den Wegfall einer milliardenschweren Vermarktungsindustrie an Wert. Der Umgang mit Kultur erschließt sich nicht nur durch althergebrachte Strukturen, sondern ganz zentral auch durch ein aktuelles gesellschaftliches Verständnis darüber, wie dieser Umgang aussehen SOLL.

Die „Attraktivität des Musikstandorts Hamburg” hängt von einem aufregenden künstlerischen Umfeld ab, nicht von den Verkaufszahlen der Tonträgerhersteller. Eine Kleinlabelförderung ist dann ein sinnvoller Baustein der Kulturpolitik, wenn sie größere Freiräume für künstlerisches Schaffen und eine größere Reichweite für Musik ermöglicht. Wenn jedoch weiterhin unzureichend dafür gesorgt wird (oder es sogar erschwert wird), dass Kulturschaffende Räume haben, in denen sie Ideen entwickeln können und Plattformen, auf denen sie diese Ideen einer breiten Öffentlichkeit präsentieren können, dann verpufft so eine Förderung. Eine lebendige Kulturlandschaft entsteht nicht durch das kurzfristige Stützen einiger Glieder in der Verwertungskette, sondern in einem kulturfreundlichen Gesamtkontext. An der Verbesserung dieses Kontextes arbeiten wir unter Einbringung von persönlichem Engagement, Szenekenntnissen und Musikexpertise - weitgehend unentgeltlich. Wir hoffen die Stadt Hamburg arbeitet daran in Zukunft mit. Auch wir wollen einen „Hamburg-Effekt”, jedoch nicht allein im Sinne einer Subventionierung der Musikverwertungsbranche, sondern im Sinne eines Best-Practice Modells einer gelungenen Kulturpolitik zwischen gewählten Entscheidungsträgern, Künstlern, Verwertern und nicht zuletzt auch Rezipienten bzw. im Idealfall: Partizipierenden.


Nichts zu danken, unsere Empfehlungen,
Ihre all rock'n'roll speeds up records